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Eiger Westflanke

Erstellt: 26.04.2021
Skitourenklassiker am Eiger Skitour, SS+, ZS, E5
8.8 km, 1900 Hm ↑ ↓
Start & Ziel: Kleine Scheidegg

Schon wieder Regen! Nun erwischt es mich zum dritten Mal in einer Woche, obwohl der Wetterbericht auch dieses mal mässige Bewölkung und überhaupt keinen Niederschlag vorhergesagt hatte. Es ist fast ein Déjà-vu. Vor einer Woche war ich frühmorgens bei der Doldenhornhütte umgekehrt und hatte den Gipfel gar nicht erst in Angriff genommen, da es regnete und um mich herum der Nebel hing. Stunden später auf der Heimfahrt sehe auf den Bildern der Webcam strahlenden Sonnenschein im Gebiet. Nur vier Tage später war ich am Stockhorn unterwegs, vier Stunden im Nebel und leichtem Regen, obwohl es morgens hätte aufklaren sollen. Und nun schon wieder Regen, obwohl keiner vorhergesagt war. Ich muss mich unterstellen und bin zugegeben sehr schlecht auf die Nässe vorbereitet. Zum Glück finde ich einen Ort, um die Nacht im Trockenen verbringen zu können. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss: Am nächsten Morgen sollten sich die Vorhänge heben zu einem bis in die Tiefe erfüllendem Tag. Zu diesem einen Moment, wenn sich Konzentration, Anspannung, Exposition, fliessende Bewegung, Wildheit und Einsamkeit inmitten einer grossartigen Umgebung vereinen. Vereinen zu einem dichten, leichten, fast schwebenden Gefühl. Alleine auf dem Gipfel des Eiger, inmitten eines Panoramas von unerhörter Schönheit. Die Lösung der Anspannung nach den ersten geglückten Turns mit den Ski und dem darauf folgenden Gefühl zu fliegen. Zu einem dieser Tage, die bleiben.

Morgens ist es noch bewölkt. Ich verlaufe mit prompt in der Baustelle bei der Station Eigergletscher und muss wieder absteigen. Froh bin ich, als ich den blau-weiss markierten Wanderweg zum Rotstock finde und mich mithilfe der Fixseile hocharbeiten kann. Bei den ersten Schneefeldern auf etwa 2600 m felle ich erst gar nicht an, der Schnee erscheint viel zu hart. Im Zick-Zack geht es hoch, immer wieder breche ich ein, aber zum Glück nur streckenweise. Langsam gewinne ich Höhe in Richtung des grossen Seracs in der Wand.

Ich komme an die Wolkengrenze. Jungfrau und Silberhorn erheben sich stolz aus dem Nebel. Wenig später bin oberhalb eines riesigen Wolkenmeers, das sich unter mir erstreckt. Der Schatten des Eigers zeichnet sich als dunkle Pyramide auf den Wolken ab.

Zwischenzeitlich schaut es so aus, als wäre eine Umgehung links des Sercas nicht möglich, aber dann öffnet sich doch ein perfektes Couloir zum Hochsteigen. Eine Randspalte erschwert den Weiterweg nicht weit unterhalb des Seracs. Ich kann sie aber auf der von unten kommend rechten Seite umgehen, um dann sofort wieder nach links zu queren. Die Exposition wird zunehmend spürbar, meine Waden auch. Um sie zu entlasten quere ich auch immer wieder von Seite zu Seite. Oberhalb des Seracs legt sich die Wand etwas zurück. Ich lege eine kurze Pause ein, kühle aber schnell aus. Bald wird es wieder steiler. Ich quere zurück in die Westflanke und visiere P. 3666 an. Oberhalb dieses Turms wechseln sich die Schneefelder immer wieder mit kleinen Felspassagen ab. Ich mache Skidepot wenig unterhalb von P. 3666. Sorgfältig grabe ich die Ski in den Schnee ein, damit sie auch später noch da sein werden. Noch kann ich mir kaum vorstellen hier später abzufahren, zu steil erscheint die Wand und zu hart der Schnee. Nun suche ich mir einen Weg möglichst immer auf dem Schnee Richtung Gipfel zusammen. Die Eisgeräte greifen gut und solange ich im Schnee bin, geht es problemlos. In den kurzen Felspassagen dazwischen ist meine Konzentration gefordert. Vom Grat quere ich zurück in die Flanke, dort gibt es Schneefelder bis fast zum Gipfel. Ich merke zunehmend die Höhe und werde langsamer, immer wieder muss ich kurze Pausen machen.

Dann sind es nur noch ein paar Meter, endlich komme ich am Gipfel an. Die Aussicht ist grandios, der Tiefblick nach Grindelwald in dieser Steilheit ist imposant. Ich mache Fotos und nehme das Panorama in mich auf. Keinen Menschen habe ich heute gesehen. Fast eine Dreiviertestunde bleibe ich oben. Dann klettere ich vorsichtig ab zum Skidepot, besonders achtsam in den felsigen Passagen. Erst jetzt stelle ich fest, dass meine Skischuhe in diesem Gelänge besser im geschlossenen Skimodus funktionieren, als im Gehmodus. Zurück beim Skidepot habe ich etwas Vertrauen gewonnen.

Ich montiere die Ski und rutsche erst einmal ein paar Meter ab um Gefühl für das Fahren zu bekommen, schliesslich stand ich schon über zwei Monate nicht mehr auf den Ski. Etwas Überwindung kostet der erste Schwung in dieser Steilheit, aber er kommt. Etwas unglaublich Schönes löst sich, mit jedem Turn ein wenig mehr. Unter mir butterweicher Firn, es kommen harmonische, fast ästhetische Schwünge. Oberhalb des Seracs finde ich einen traumhaften, perfekt geneigten Hang, grossartig und fliessend in der Bewegung. Auch die weitere Abfahrt gelingt ohne Probleme. Unterhalb des Serac wird es ein wenig buckliger durch alte Nasschneelawinen, die aber nicht gross stören. Es folgen noch ein paar weitere schöne Hänge und ich fahre weiter bis der Schnee aufhört. Über den Wanderweg und die Fixseile geht es flott zur Station Eigergletscher und zu meinem Biwak. Ich packe kurz zusammen und schon bin ich bei der kleinen Scheidegg, wo ich alles auf mein Rad verlade. Flott geht es die 1000 Hm runter nach Grindelwald. Die Abfahrt ist so lang, dass ich kaum glauben kann das alles gestern hinauf gefahren zu sein. Ich hänge noch die Strecke nach Interlaken dran, die sich durch Gegenwind etwas zieht.

Material: 2 Pickel/Eisgeräte, Steigeisen, Helm